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Viele Bilder sind vorausgegangen,
gesehen worden, gemalt worden. Den Nullpunkt hat es nie gegeben. Andere
waren immer schon da.
Wer um 1950 herum anfing, die Augen aufzumachen in Deutschland, sah in Köln
den Dom, in München die Pinakothek.
Van Gogh war irre aufregend, die Expressionisten das Gegenteil von Gemeingut
und die Tachisten eine Zumutung. 1950 war ich 13 und fing an, zu malen.
An den Bildern kann man die Vaterschaften ablesen.
Andere waren immer schon da. Es gab Vorbilder und Maßstäbe, wechselnde.
Noch war das kein Problem. Die Revolution wurde erlebt im Nachvollzug, das
war immer noch provozierend genug: die Umgebung befand sich noch auf dem
Weg zu den Impressionisten.
Die Bilder waren nicht nur Bilder, sie waren Träger von Möglichkeiten:
Individuum sein, Protest ausdrücken, Leute auf den Kopf hauen, Sehen
lernen, Sehen lehren, angegriffen werden, in Ruhe gelassen werden, sich
ausstellen, Geld verdienen, Achtung verdienen, Ohnmacht erleben, - Möglichkeiten,
Möglichkeiten, verdammt viele . Und dann noch der Spaß, zu malen,
festzuhalten, auszudrücken, abzubilden, zu agieren, zu schmieren, zu
spielen. Erlebnis und Lebens-Rechtfertigung durch etwas Farbe, ziemlich
viel Farbe.
Der Weg eines jungen Mannes aus normalem Hause führt nicht an den Institutionen
vorbei, sondern in sie hinein.
Wie buchstabiert man Akademie?
A wie Anstalt, k wie Kunscht, a wie ausbildung, klein geschrieben, d wie
demoralisierend, e wie eng, m wie Mitläufer, i wie immerhin, e wie
een bißchen mehr Blau könnte dem Bild nicht schaden.
Glück muß man haben. Ich hatte, trotzdem der Professor im ersten
Semester sagte " Warum malen Sie wie ein Genie, wenn Sie keines sind?"
trotzdem er nur französisch sprach, und ich garnicht, trotzdem er nie
verstand, was ich wollte... Glück: Er störte einen weniger als
andere, er beleidigte einen nicht, er ließ einen wursteln und spielte
nicht Autorität. Andere ließen einen nicht mal wursteln, es sei
denn innerhalb aufgestellter Stil - Spielregeln.
6 Jahre leere Luft, ganz nett, - die Wut kam später.
1965 war ich endlich da, wo anderere 1930 waren, andere, die in der Kunstgeschichte
stehen. Und sie, die längst Gestorbenen oder fast schon Toten standen
in meinen Bildern, mit einem Bein mindestens. Manchmal hockten sie drin
mit all ihren Schöpfungen, Regeln, Maßstäben. Was habe
ich für schöne Bilder gemalt, so schön, daß sie von
Leuten gekauft wurden. Die Idee, daß sich Leute meine Bilder aufhängten,
weil sie sich woanders schon dran gewöhnt hatten, kam mir nur selten.
Unbehagen wird gerne verdrängt, und so eine Idee ist verflucht unbehaglich.
Erworbenes Wissen und Können in die Rumpelkammer zu tun, fällt
schwer. Der Preis dafür war zu hoch. Maßstäbe zu relativieren
und zu Museumsstücken zu machen gehört nicht zum Unterricht.
Wenn ich wenigstens gelernt hätte, auf einer Fläche einen geraden
Strich zu ziehen.
In München hat man es noch schwerer, als anderswo, aufzuwachen.
Ein Blick in das Ausstellungsprogramm des Hauses der Kunst zeigt:
Frühes zwanzigstes Jahrhundert (mehrfach)
Spätes neunzehntes Jahrhundert (auch mehrfach)
Chinesen, Ikonen, Mexikaner (präcolumbianisch)
Und alljährlich die " GROSSE MÜNCHNER " (Abendzeitung:
Nun hängen sie wieder)
In der neuen
Staatsgalerie Neuerwerbungen:
Für 1,x Millionen ein Picasso (1904), für 1,x Mill. ein Braque
(fauvistisch), für 1,x Mill. ein Braque (kubistisch),für 1,x
Mill. ein Degas, geschenkte Expressionisten, geliehene Expressionisten,
nach 45: Nach-Expressionisten und Münchner.
Hin und wieder aufschnappbar: etwas Neues in einer Galerie, zufällig,
isoliert. Ein Pop-Representant representiert eben noch nicht Pop z.B.
dies hier ist ein bißchen Biografie, und zu meiner solchen gehört
München.
Wir haben die Freiheit, uns zu informieren, das heißt, wir haben
hier die Freiheit, nach Amsterdam, Bern, Stockholm zu fahren oder sonst
wohin, auch nach Köln (Rückfahrkarte DM 9o,-).
Andere waren immer schon da. In München, wenn man Pech hat, kennt
man diese anderen vielleicht noch nicht einmal. Sagt einer, ein Straßenbild
von Liese betrachtend: "Kennen Sie d'Arcangelo?" Hübsch
häßlich sowas, wenn man dann d'Arcangelo kennenlernt.
Noch etwas, das ich mir mit zwanzig nicht träumen ließ: Es
gibt kein Patentamt für künstlerische Ersteinfälle, wohl
aber Konsequenzen, die danach aussehen. Einer macht mit Leuchtröhren,
einer macht mit Raster, einer macht mit Verwischungen. Patentierte Einfälle
und Spezialisten. Das dynamische Zeitalter hat den Reproduzenten des eigenen
Einfalls geschaffen, den katalogisierten Macher von Variationen, statisch,
entwicklungsfeindlich.
Neue Ideen sind gleichbedeutend mit neuen Namen.
Warum?
Da ist die Behauptung, man könne nicht mehr so malen wie gestern.
Da ist der Zwang, aktuell zu sein.
Da ist die Forderung nach etwas Neuem, etwas ganz Neuem.
Da verändert der Blick auf dieses Neue die Maßstäbe für
das vorherige, gründlich.
Der Markt, die Meinungen, die Moden ... ich und die anderen.
Zwangsjacke und Anstoß zu Neuem, gleichzeitig.
Wo schwimme ich wirklich?
Fragen? Meine Fragen.
Standpunkt? Ach du liebe Güte, - zweiundzwanzig für heute, künstlerische,
- morgen andere.
Standpunkte, einige, liegen in dem Erfahrungsbereich zwischen Bild und
Betrachter, nicht im Bild.
Verändert die Welt, aber erwartet von den Bildern nicht zuviel.
Hängt die Bilder auf, aber laßt sie nicht an den Wänden
sterben.
Bilder sind ohnmächtig, wenn man sich ihnen nicht zuwendet ...
Zu einer Biografie gehört auch: Geboren (1937) Schule (2 mal sitzengeblieben),
Abitur (Malerei gegen Mathematik, Folge: gerade noch), Eltern: tolerant.
Sonstiges: Mit 18 traute ich meinen schriftstellerischen Fähigkeiten
weit mehr zu als meinen malerischen. Andere waren entgegengesetzter Meinung.
Akademie -Aufnahmeprüfung I: nicht zugelassen Akademie - Aufnahmeprüfung
II: gerade noch
Akademie-Wettbewerb 62 (Bild-Größe:6o mal 80 cm): Fehlanzeige
Akademie-Wettbewerb 63 (Bild-Größe: 2,5 Quadratmeter): Preis
Akademie-Wettbewerb 64 (Bild-Größe: 3,2 Quadratmeter): Preis
(Merke: Erfolge hängen auch mit der Quadratmeter-Anzahl zusammen)
Und zum guten Studien-Ende noch ein DAAD-Stipendium: 8 Monate Italien.
Mein Weg in die Malerei war nicht zwingend, er war auch das Ergebnis einer
Lerngeschichte. Bei etwas Begabung ist es nicht schwer, als 14, 18, 20-jähriger
in der Provinz Erfolg zu haben. Das stärkt dann das Vertrauen in
die eigenen Fähigkeiten ungemein und drängt mögliche Alternativen
der Berufswahl auf anderen Gebieten zurück.
Auf die Akademie ging ich, um Lehrer zu werden (offizielle Version). Im
8. Semester, mit 25, verzichtete ich darauf, das Examen zu machen, um
nicht ein durch die Unterrichtstätigkeit frustrierter Maler oder
ein in der Malerei gehinderter Lehrer zu werden. Vor zwei Jahren fing
ich zum ich weiß nicht wievielten Male "von vorne" an.
In dieser Ausstellung sehen Sie einen Teil des vorläufigen Ergebnisses.
Rolf Liese, München, Dezember 1970
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