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Mit einer Maschine
zu arbeiten, die noch dazu so "dumm" zu sein scheint wie ein
Kopierapparat, der eigens dazu gebaut wurde, getreu eine Vorlage zu reproduzieren
und nichts als dies zu machen, klingt zunächst wenig interessant.
Laser-Kopierer, mit denen Christian Döring und Rolf Liese arbeiten,
machen im Prinzip dasselbe, nur lösen sie die Farbwerte der Vorlage
digital auf, erfassen das Farbenspektrum in mehreren Vorgängen und
tragen diese Farbe für Farbe auf der Oberfläche auf. Kopieren
benötigt eine bestimmte Zeit, analog der Belichtungszeit einer Fotografie
oder eines Fotogramms. Das, die Grundeinstellung und die verschiedenen
Abtastvorgänge der Grundfarben erlauben Eingriffe in das entstehende
Bild, die schnell und präzise erfolgen müssen und viel Erfahrung
voraussetzen, um zu einem bestimmten, allerdings nicht genau voraussagbaren
Ergebnis zu führen. Laser-Kopierer reagieren auf die Helligkeitswerte
nur während des Arbeitsvorganges. Die entstehenden Blätter sind,
auch anders als bei der Fotografie, bei der es ja ein Negativ gibt, Unikate,
singuläre, unwiederholbare Momentaufnahmen, deren Reproduktion, also
die erneute Kopie der Kopie, sich deutlich vom "Original" unterscheidet.
Es sind genau diese Beschränkungen, die den Reiz der Arbeit mit dieser
Maschine ausmachen und die es gleichzeitig ermöglichen, den technischen
Prozess auszutricksen. Während der normale Einsatz eines Kopiergeräts
darin besteht, möglichst perfekt Vorlagen zu reproduzieren, so geht
die künstlerische Anwendung einen anderen Weg und wendet die maschinellen
Mechanismen gegen diese selbst, um Überraschendes und Neues entstehen
zu lassen, das man anders nicht erzeugen kann. Seit dem Aufbruch der modernen
Kunst und mit der Erfindung der ersten Bildmaschine, der Fotografie, hat
sich die bildende Kunst mehr und mehr aus den traditionellen Gattungen
Malerei und Skulptur befreit und versucht seitdem, neue Gegenstände,
neue Materialien, neue Instrumente und neue Apparate in das Spektrum künstlerischer
Produktion einzubeziehen. Diese Entgrenzung der traditionellen Kunstformen
wurde von vielen Deutungen, Rechtfertigungen und Kritiken begleitet. Je
nach Perspektive nannte man sie eine Ästhetisierung der Wirklichkeit,
eine Entkunstung der Kunst, eine Verklärung des Gewöhnlichen...
Ähnlich wie man Malerei und Skulptur gemäß ihrem Material
und/oder ihrer Technik definiert, so gab es plötzlich eine Vielzahl
neuer Kunstgattungen: Fotografie, Fotogramm, Film, Videokunst, Body Art,
Land Art, Sky Art, Performance, Happening, Installation, Approbiation
Art, Konzeptkunst, Computerkunst... und eben auch Copy Art. Zunächst
war jede neue Kunstgattung verpönt, weil ungewohnt, wurde aus den
Institutionen des Kunstbetriebs und der Kunstrezeption ausgeschlossen,
suchte sich ihre eigene Öffentlichkeit, um dann irgendwann integriert
zu werden oder, wie das besonders deutlich beim Film ist, sich in einem
eigenen Rahmen - mit spezifischen Produktions-, Wahrnehmungs-, Ausstellungs-
oder Vorführungs- und Vermarktungsformen zu etablieren. Die Kunst,
aber besser sollte man sagen: die Künstler machen sich offenbar anheischig,
aus allem und mit allem, was sie finden, Kunst zu machen. Sie akzeptieren
die gängigen Trennungen nicht mehr, lassen sich herausfordern oder
suchen das, was bislang jenseits der ästhetischen Sphäre stand,
sich anzueignen. Das ist gewiß ein ambivalentes und vielleicht auch
langfristig gefährliches, weil bodenloses und paradoxes Unternehmen
der Entgrenzung und des Experiments. Das spielerische Umgehen mit Materialien,
Instrumenten und Maschinen, der Versuch, sich davon überraschen zu
lassen, wie sich das Machen an den Widerständen von diesen bricht,
gehört jedenfalls zur Grundschicht moderner Kunst und macht den Charakter
ihres Abenteuers aus, also daß es auch daneben gehen kann. Wir haben
uns daran gewöhnt - oder uns damit abgefunden -, daß Kunst
beispielsweise nichts mehr herstellen muß, daß sie nur noch
Vorgefundenes oder Reproduziertes präsentiert, es in einen anderen
Kontext stellt, allerdings dann meist von der Notwendigkeit begleitet,
daß sie nicht mehr für sich selbst stehen kann, sondern auf
Kommentare angewiesen ist, die dem Betrachter die Intention des Künstlers
vermitteln und ihm selbst das Aufsetzen einer anderen "Brille"
ermöglichen. Auch wenn gelegentlich der Kommentar seitens des Künstlers
oder Kunstexperten zum eigentlichen Kunstwerk gerät, zumal dann,
wenn die eigentliche Arbeit sich kaum erschließen läßt
oder, wie so oft, weit hinter der selbstgesteckten oder darübergestülpten
Absicht zurückbleibt, so ist er dennoch nicht ganz der bloßen
ästhetischen Wirkung sekundär, denn man versteht oft erst dann
etwas, was man wahrnimmt, wenn man weiß, wie und mit welchen Intentionen
es produziert wurde. Entgegen der Tendenz der Kopiermaschine und auch
derjenigen der digitalen Medien, die Wirklichkeit zu simulieren und das
Ideal des Fotorealismus einzulösen, sind Döring und Liese nicht
am Abbild von Gegenständen interessiert, mit dem sie den Mechanismus
der Maschine in Gang setzen. Alles hängt von der Schnelligkeit und
Präzision der Geste des Bildmachers ab, mit der Gegenstände
unter vorgegebenen Rahmenbedingungen und in der Bewegung der Scanner-Einheit
der "Belichtung" ausgesetzt werden. Dabei entstehen ganz unterschiedliche
Muster, Hintergründe, Farbverläufe und Formen, deren Variationen
Serien ergeben. Ähnlich wie andere abstrakte Bilder tragen diese
"Digitalogramme®" keine subjektive
Bedeutung mit sich, sie beziehen sich auf nichts, sind ästhetische
Ereignisse, geronnen in einer Momentaufnahme, die das Zusammenspiel zwischen
maschinellem Mechanismus und menschlicher intentionaler Geste festhalten,
ohne daß eine "Handschrift" zu erkennen ist. Das macht
ihre strenge, unpersönliche und trotz aller Einmaligkeit und Flüchtigkeit
gefrorene Schönheit aus. Noch Talbot meinte bei der Einführung
der Fotografie beteuern zu müssen, daß nicht der technische
Apparat bei der Bilderzeugung wesentlich sei, sondern daß hier die
Natur selbst zeichne. Offenbar fällt es uns schwer, den subjektiven
Ausdruck nicht in der gewohnten Weise in einer künstlerischen Arbeit
zu finden. Wir vermissen dann etwas, das uns unabdingbar für Kunst
scheint. Besonders bei Maschinen, die keine Instrumente sind und sich
der vollständigen Steuerung seitens des Menschen entziehen, scheinen
die mit ihnen erzeugten Bilder oft eine irritierende Kälte auszustrahlen,
so, als kämen sie aus einer anderen, fremden Welt. Doch das Experiment,
die Gesten mit den Mechanismen der Maschinen zu verbinden, ist eine Versuch-(ung)sanordnung,
mit der auch das zur Erscheinung verführt werden kann und soll, was
sonst nur ein dummer Mechanismus zu sein scheint, der einzig die Alternative
zuläßt, vom Menschen beherrscht zu werden oder diesen als Teil
seines Systems zu unterwerfen.
München, Oktober 1995
Florian Rötzer
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