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Die überlistete Maschine
(Florian Rötzer, 1995)

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Mit einer Maschine zu arbeiten, die noch dazu so "dumm" zu sein scheint wie ein Kopierapparat, der eigens dazu gebaut wurde, getreu eine Vorlage zu reproduzieren und nichts als dies zu machen, klingt zunächst wenig interessant. Laser-Kopierer, mit denen Christian Döring und Rolf Liese arbeiten, machen im Prinzip dasselbe, nur lösen sie die Farbwerte der Vorlage digital auf, erfassen das Farbenspektrum in mehreren Vorgängen und tragen diese Farbe für Farbe auf der Oberfläche auf. Kopieren benötigt eine bestimmte Zeit, analog der Belichtungszeit einer Fotografie oder eines Fotogramms. Das, die Grundeinstellung und die verschiedenen Abtastvorgänge der Grundfarben erlauben Eingriffe in das entstehende Bild, die schnell und präzise erfolgen müssen und viel Erfahrung voraussetzen, um zu einem bestimmten, allerdings nicht genau voraussagbaren Ergebnis zu führen. Laser-Kopierer reagieren auf die Helligkeitswerte nur während des Arbeitsvorganges. Die entstehenden Blätter sind, auch anders als bei der Fotografie, bei der es ja ein Negativ gibt, Unikate, singuläre, unwiederholbare Momentaufnahmen, deren Reproduktion, also die erneute Kopie der Kopie, sich deutlich vom "Original" unterscheidet.

Es sind genau diese Beschränkungen, die den Reiz der Arbeit mit dieser Maschine ausmachen und die es gleichzeitig ermöglichen, den technischen Prozess auszutricksen. Während der normale Einsatz eines Kopiergeräts darin besteht, möglichst perfekt Vorlagen zu reproduzieren, so geht die künstlerische Anwendung einen anderen Weg und wendet die maschinellen Mechanismen gegen diese selbst, um Überraschendes und Neues entstehen zu lassen, das man anders nicht erzeugen kann. Seit dem Aufbruch der modernen Kunst und mit der Erfindung der ersten Bildmaschine, der Fotografie, hat sich die bildende Kunst mehr und mehr aus den traditionellen Gattungen Malerei und Skulptur befreit und versucht seitdem, neue Gegenstände, neue Materialien, neue Instrumente und neue Apparate in das Spektrum künstlerischer Produktion einzubeziehen. Diese Entgrenzung der traditionellen Kunstformen wurde von vielen Deutungen, Rechtfertigungen und Kritiken begleitet. Je nach Perspektive nannte man sie eine Ästhetisierung der Wirklichkeit, eine Entkunstung der Kunst, eine Verklärung des Gewöhnlichen... Ähnlich wie man Malerei und Skulptur gemäß ihrem Material und/oder ihrer Technik definiert, so gab es plötzlich eine Vielzahl neuer Kunstgattungen: Fotografie, Fotogramm, Film, Videokunst, Body Art, Land Art, Sky Art, Performance, Happening, Installation, Approbiation Art, Konzeptkunst, Computerkunst... und eben auch Copy Art. Zunächst war jede neue Kunstgattung verpönt, weil ungewohnt, wurde aus den Institutionen des Kunstbetriebs und der Kunstrezeption ausgeschlossen, suchte sich ihre eigene Öffentlichkeit, um dann irgendwann integriert zu werden oder, wie das besonders deutlich beim Film ist, sich in einem eigenen Rahmen - mit spezifischen Produktions-, Wahrnehmungs-, Ausstellungs- oder Vorführungs- und Vermarktungsformen zu etablieren. Die Kunst, aber besser sollte man sagen: die Künstler machen sich offenbar anheischig, aus allem und mit allem, was sie finden, Kunst zu machen. Sie akzeptieren die gängigen Trennungen nicht mehr, lassen sich herausfordern oder suchen das, was bislang jenseits der ästhetischen Sphäre stand, sich anzueignen. Das ist gewiß ein ambivalentes und vielleicht auch langfristig gefährliches, weil bodenloses und paradoxes Unternehmen der Entgrenzung und des Experiments. Das spielerische Umgehen mit Materialien, Instrumenten und Maschinen, der Versuch, sich davon überraschen zu lassen, wie sich das Machen an den Widerständen von diesen bricht, gehört jedenfalls zur Grundschicht moderner Kunst und macht den Charakter ihres Abenteuers aus, also daß es auch daneben gehen kann. Wir haben uns daran gewöhnt - oder uns damit abgefunden -, daß Kunst beispielsweise nichts mehr herstellen muß, daß sie nur noch Vorgefundenes oder Reproduziertes präsentiert, es in einen anderen Kontext stellt, allerdings dann meist von der Notwendigkeit begleitet, daß sie nicht mehr für sich selbst stehen kann, sondern auf Kommentare angewiesen ist, die dem Betrachter die Intention des Künstlers vermitteln und ihm selbst das Aufsetzen einer anderen "Brille" ermöglichen. Auch wenn gelegentlich der Kommentar seitens des Künstlers oder Kunstexperten zum eigentlichen Kunstwerk gerät, zumal dann, wenn die eigentliche Arbeit sich kaum erschließen läßt oder, wie so oft, weit hinter der selbstgesteckten oder darübergestülpten Absicht zurückbleibt, so ist er dennoch nicht ganz der bloßen ästhetischen Wirkung sekundär, denn man versteht oft erst dann etwas, was man wahrnimmt, wenn man weiß, wie und mit welchen Intentionen es produziert wurde. Entgegen der Tendenz der Kopiermaschine und auch derjenigen der digitalen Medien, die Wirklichkeit zu simulieren und das Ideal des Fotorealismus einzulösen, sind Döring und Liese nicht am Abbild von Gegenständen interessiert, mit dem sie den Mechanismus der Maschine in Gang setzen. Alles hängt von der Schnelligkeit und Präzision der Geste des Bildmachers ab, mit der Gegenstände unter vorgegebenen Rahmenbedingungen und in der Bewegung der Scanner-Einheit der "Belichtung" ausgesetzt werden. Dabei entstehen ganz unterschiedliche Muster, Hintergründe, Farbverläufe und Formen, deren Variationen Serien ergeben. Ähnlich wie andere abstrakte Bilder tragen diese "Digitalogramme®" keine subjektive Bedeutung mit sich, sie beziehen sich auf nichts, sind ästhetische Ereignisse, geronnen in einer Momentaufnahme, die das Zusammenspiel zwischen maschinellem Mechanismus und menschlicher intentionaler Geste festhalten, ohne daß eine "Handschrift" zu erkennen ist. Das macht ihre strenge, unpersönliche und trotz aller Einmaligkeit und Flüchtigkeit gefrorene Schönheit aus. Noch Talbot meinte bei der Einführung der Fotografie beteuern zu müssen, daß nicht der technische Apparat bei der Bilderzeugung wesentlich sei, sondern daß hier die Natur selbst zeichne. Offenbar fällt es uns schwer, den subjektiven Ausdruck nicht in der gewohnten Weise in einer künstlerischen Arbeit zu finden. Wir vermissen dann etwas, das uns unabdingbar für Kunst scheint. Besonders bei Maschinen, die keine Instrumente sind und sich der vollständigen Steuerung seitens des Menschen entziehen, scheinen die mit ihnen erzeugten Bilder oft eine irritierende Kälte auszustrahlen, so, als kämen sie aus einer anderen, fremden Welt. Doch das Experiment, die Gesten mit den Mechanismen der Maschinen zu verbinden, ist eine Versuch-(ung)sanordnung, mit der auch das zur Erscheinung verführt werden kann und soll, was sonst nur ein dummer Mechanismus zu sein scheint, der einzig die Alternative zuläßt, vom Menschen beherrscht zu werden oder diesen als Teil seines Systems zu unterwerfen.

München, Oktober 1995
Florian Rötzer



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