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Erinnerte Natur
"Ich wollte im Gespräch mit anderen die eigene künstlerische
Isolation durchbrechen. Ich habe meine absoluten Wertvorstellungen relativieren
und damit zu meiner eigenen Arbeit und ihren Absichten am meisten beitragen
können. Das ist der eigentliche Ertrag der letzten sechs Jahre."
Bemerkenswerte Worte aus dem Munde eines Künstlers, dem seine zurückliegende
Verbandstätigkeit nahezu alle Kräfte für die eigene Malerei
raubte, der durch eben diese Arbeit in ständigen Konflikt zu seiner
künstlerischen Berufung geriet.
Die Ausstellung bietet Gelegenheit, den Künstler Rolf Liese nicht
nur neu zu entdecken, sondern auch aufmerksam zu machen auf die Kontinuität
und Stringenz eines bildnerischen Denkens, über dessen geistige Hintergründe
und Erkenntnisse die folgenden Gesprächsnotizen Aufschlüsse
geben sollen. Die äußerst sparsam verwendeten und immer wiederkehrenden
Motive in den Bildern Lieses verleiten zu vereinfachenden und vorschnellen
Schlüssen. Seit nunmehr achtzehn Jahren kennt man diese typischen
Gegenüberstellungen von signalhaften Zeichen hier und flächig
glatten Landschaftsdarstellungen dort. Wo liegen die eigentlichen künstlerischen
und geistigen Motive für eine solche, exzessive Haltung der eigenen
Bildwelt gegenüber. Die erste Antwort Lieses darauf fällt fast
unerwartet aus. Sie führt zurück in die frühen Jahre der
künstlerischen Entwicklung: "Ich hatte damals gelernt: ein Maler
malt, ein Anstreicher malt an. Anstreichen ist keine Kunst. In dieser
engen Welt, die ich verinnerlicht hatte und die auch durch das Studium
auf der Akademie nicht in Frage gestellt wurde, bin ich aufgewachsen.
Mit Dispersion anstatt mit Öl zu malen bedeutete auf der Akademie
damals schon eine kleine Revolution. Ich habe also angefangen mit Landschaftsmalerei
(1952), bald danach auch mit figürlichen Darstellungen. Das war Malerei
ganz im Sinne des Expressionismus und Impressionismus. Van Gogh und Picasso
etwa haben eine große Rolle in diesem Zusammenhang für mich
gespielt. Diese Phase der emotional durchlebten, gegenständlich begründeten,
wenn auch "tachistisch" verfremdeten Malerei war indes von relativ
kurzer Dauer. Der Versuch, die emotional malerischen Beweggründe
in eine klare Formensprache zu bringen, trat von nun an in den Mittelpunkt
meines künstlerischen Interesses. Der Bruch mit dem eigenen Traditionsverständnis
war, wegzugehen von dieser "kostbaren" Malerei und sich hinzuwenden
zu einer anonymen Bildsprache, in der die Fläche alle Spuren von
Faktur und Struktur, von individueller Aussage also, tilgen sollte. Schablonenmalerei
ist hier wohl das treffende Stichwort.
In diesem Zusammenhang war meine Begegnung mit der Pop Art etwa um das
Jahr 1970 von entscheidender Bedeutung. Ich meine damit nicht inhaltliche
Übereinstimmung mit dieser Kunstrichtung. Es war vielmehr der formale
Aspekt, die ganz andere Art und Weise zu arbeiten, die den Blick auf völlig
neue Darstellungsmöglichkeiten öffnete. Der Begriff der "neuen
Landschaft", der für meine Absicht eine große Rolle spielt,
wurde geboren. Diese Landschaft unterscheidet sich von dem, was vorher
war und vor allem von dem, was ich vorher tat in krasser Form. Der Eingriff
des Menschen in die Landschaft: "An genau diesem Punkt setzt ein,
was bis heute mein Thema in der Malerei geblieben ist.
Die Begegnung mit der Pop Art, mit Künstlern wie Wesselmann, Warhol,
Lichtenstein oder Stella hat mir die Scheu vor der Fläche genommen.
Ich begann, erste Bilder flächig umzumalen und ich stellte fest,
daß ich die Raumwirkung, die ich eigentlich immer haben wollte,
erreicht hatte."
Ein zweites, persönliches Erlebnis wirkt formal prägend auf
die künstlerische Umbruchstimmung in der Malerei von Rolf Liese zu
dieser Zeit: "Die Rückkehr aus dem abstrakten Denken in die
erlebte Wirklichkeit führte über das Erlebnis des Unterwegsseins,
der tatsächlichen Grenzüberschreitungen und zahlreichen Reisen
im In- und Ausland. Dabei begegnete ich ständig den für den
Straßenverkehr typischen Rot-Weiß-Zeichen, den Warnschildern
und den Zollschranken. Seit dieser Zeit haben diese Zeichen Eingang in
meine Malerei gefunden. Ich habe mit ihnen zunächst nicht mehr und
nicht weniger verbunden, als einen wirksamen Kontrast zur malerischen
und natürlich-gegenständlichen Wirklichkeit in meinen Bildern
herzustellen. Mit erzählerischen Absichten haben diese Zeichen zum
vorliegenden Zeitpunkt noch nichts zu tun. Sie stehen als abstrakte Chiffren
für die Anwesenheit des Menschen in einer artifiziellen Natur."
Die ästhetische Ordnung des Bildes, die rein malerischen Aspekte
der Bildfindung dominieren also in einem künstlerischen Gestaltungsprozeß,
in den nichts desto weniger gegenständliche oder natürliche
Eindrücke aus der erlebten Wirklichkeit Eingang finden. Wie also
steht es um den "Realisten" Rolf Liese. "Die ideologisch
festgelegten Begriffe von Naturalismus oder Realismus passen nicht auf
meine künstlerische Arbeit. Meine Bilder sind zwar gegenständlich
- im Gegensatz zur abstrakten Malerei etwa - sie sind aber nicht realistisch
oder gar naturalistisch in dem eben genannten Sinne.
Für mich hat die Tatsache, zu malen, immer einen sehr abstrahierenden
Vorgang bezeichnet. Er hat seine ganz eigene Wertigkeit und mit Botschaft
oder erzählerischen Absichten im Sinne eines Abbildens von äußeren
Wirklichkeiten nicht zwangsläufig etwas zu tun. Der Natur in der
Malerei durch die Vielfältigkeit ihrer Mittel möglichst nahe
zu kommen, hat als Methode ausgedient. Diesen Bereich bildnerischer Berichterstattung
haben im 20. Jahrhundert längst andere Medien wie die der Fotografie,
des Films oder Fernsehens übernommen.
Bilder setzen sich im Kopf eines Menschen zusammen, beruhen nicht zwangsläufig
darauf, daß auf einem Bild dasselbe zu sehen ist, was man in natura
irgendwo sehen könnte. In diesem Sinne sind meine Bilder eigentlich
sehr abstrakt: Die blaue Fläche sagt: Ich bin ein Himmel, die grüne
Fläche bedeutet: Ich bin eine Wiese oder eine Ebene; ein Strich oder
eine hingetupfte Fläche wiederum behauptet von sich: Ich bin eine
Straße oder ein Baum. Ich habe demnach überhaupt nicht den
Ehrgeiz, etwa einen Baum in der Vielfalt seiner Erscheinung in der Natur
zu malen. Es geht um die "Essenz" des Baumes wie aller weiteren
von mir benutzten, gegenständlichen Motive. Für mich ist Landschaft
in meinen Bildern ein ganz künstliches Gebilde. Hierher gehört
auch die glatte Malweise. Das Ganze zielt auf einen schematischen Realismus,
ganz abgesehen einmal davon, daß unsere Natur, also auch die Natur,
die ich male, ja gar keine Natur mehr in ihrem ursprünglichen Sinne
ist. Sie ist zwar (noch) keine Stadtlandschaft, ich bezeichne sie aber
als Land-Landschaft, als Agrikultur-Landschaft, als Menschen-Landschaft.
Die Natur ist nurmehr das Resultat der Zivilisation."
Demnach genügt es nicht mehr, die Bilder alleine aus ihrem Anspruch
ästhetischer Selbstgenügsamkeit erklären zu wollen. Sie
stellen auf der sinnbildlichen Ebene den kritischen Bezug zur erlebten
Wirklichkeit gleichsam rückwirkend her. Sie erheben sehr wohl einen
moralischen Anspruch, auch wenn dieser von Beginn an gar nicht beabsichtigt
war: "Meine Beschränkung auf wenige Zeichen in den Bildern ist
das Resultat eines abstrakten, rein bildnerischen Denkens. Das Zeichen,
welches am wenigsten "authentisch" ist, eignet sich am meisten
für meine Aussage. Mit anderen Worten: Der allgemeine Nenner interessiert
mich. Das Leitmotiv des 20. Jahrhunderts ist das Zeichen. Das Leitfossil
unserer Zeit ist das Straßensignal. Ich habe am Anfang nicht gedacht,
daß ein so einfaches Motiv wie das des rot-weißen Stabes in
einer Landschaft, d. h. ein solcher, ganz allgemeiner Landschaftseindruck
ein Thema über so lange Zeit für mich abgeben könnte. Daß
sich die inhaltliche, ursprünglich mit positiven Werten besetzte
Aussage meiner Zeichen im Verlaufe der Zeit änderte, hängt mit
den damals erschütternden Berichten des "Club of Rome"
zusammen. Angesichts der drohenden Zerstörung der Welt durch den
Menschen, der Erschöpfbarkeit seiner lebensnotwendigen Reserven in
der Natur, schlug meine ursprünglich optimistische, man kann auch
sagen künstlerisch naive Haltung dem Leben gegenüber um in einen
Pessimismus. Mein Gedanke damals war: Vielleicht habe ich als Mensch keine
Zukunft mehr, zumindest aber kann und darf ich mich als Künstler
darauf nicht mehr berufen. Ich darf also nicht mehr warten. Dieses Erlebnis,
eigentlich keine Zeit mehr zu haben, um untätig zuzusehen, hat mir
dann in Zusammenhang mit den vorhergehenden, formal-bildnerischen Überlegungen
dazu verholfen, mich diesen neuen Inhalten zu nähern. Mir war dabei
klar, daß man dies in anderen Medien und mit anderen Mitteln als
denen der Malerei viel besser den Menschen vermitteln könnte. Auf
der anderen Seite gab es damals nur wenige Künstler, die ähnlich
empfanden und also bildnerisch entsprechend arbeiten. Diese störenden,
zeichenhaften Elemente in deinen Landschaften, was bedeuten sie? So lautete
eine viel gestellte Frage damals. Es geht - und das war die Botschaft
und Antwort - um Bewußtmachung: Der Mensch fährt mit seinem
Auto in die Natur und dabei an unzähligen Verkehrsschildern vorbei.
Er fotografiert einen Naturausschnitt, der frei von all diesen Schildern,
Hinweis- und Verbotszeichen ist. Er sucht also auf ganz künstlichen
Umwe-gen die Idylle, die es so gar nicht mehr gibt: Natur als Erinnerung.
Die Erfahrung zerstört das Naturerlebnis.
Und so ist es mit meinen Bildern. Meine "Wäldchen" zum
Beispiel erzeugen im Betrachter zunächst einen positiven "Aha-Effekt".
Das heißt aber schon, daß er realiter nicht genau hingesehen
hat, sich also hat einfangen lassen von einer Übertragung von Realität,
die es so gar nicht mehr gibt. Es ist ein doppelbödiges Spiel, welches
ich in meinen Bildern betreibe.
Ich gebe nur den Hinweis auf ein Bild, das den Titel "Die Hirten"
trägt und geradezu politischen Charakter hat. Zunächst haben
die hier verwendeten Zeichen den Sinn, Farbe in den Bildzusammenhang zu
bringen. Die haben weiterhin die Funktion, räumliche Distanzen und
das Spannungsverhältnis von Lebendigkeit und starrer Ordnungsvorstellung
spürbar zu machen. Dann haben die Zeichen aber auch inhaltliche,
d. h. nicht malerische Funktionen: Rundes Emblem als Verbot, aber auch
als Symbol für Sonne, als Hoffnungsträger in weiterem Sinne.
Diese sinnbildhaften Hinweise bezeichnen in ironischer Form die Funktionalität
unserer Welt, verweisen auf diejenigen, die unsere ganze persönliche
Welt kanalisieren, jegliche Möglichkeit, lebendig oder anders zu
sein, verhindern wollen. Die Signale sind zum Träger eines negativen
Menschenbildes geworden.
Sie sagen: Dieser Platz wurde vom Menschen betreten, okkupiert und schließlich
zerstört. Man kann dies auch rein bildnerisch verstehen. So nahmen
die Signale in meinen Bildern zunächst ein Viertel des dargestellten
Raumes ein. Dann ging ich dazu über, sie auf die kleinstmögliche
Größe zu reduzieren, ohne daß sie dabei an ihrer ursprünglichen
Wirkung verlören. Das Gleiche geschah in umgekehrtem Sinne, also
im Hinblick auf ihre Vergrößerung. In allen Fällen blieben
die Zeichen gleichsam "persönlich" präsent. Fazit
ist: Wir können ohne Signale nicht mehr leben. Sie sind die Grammatik
unseres täglichen Lebens. Die Widersprüchlichkeit des menschlichen
Verhältnisses zum Signal ist künstlerische Absicht und Motivation
meiner Bilder geblieben. Und diese Widersprüchlichkeit habe ich in
die abstrakte Bildsprache meiner Arbeiten übertragen, ohne auf meine
persönliche Handschrift, auf meine eigenen Übersetzungen verzichten
zu wollen. In diesem Sinne sind die von mir verwendeten Zeichen zu einer
Art malerischer Assoziationsebene geworden. Ihre fest umrissene, geometrische
Form beispielsweise drückt für mich die unmittelbare Konfrontation
zu jeglicher Spontaneität aus. Hierher gehören des weiteren
die "überschmierten" Signale. Sie wurden zum Aktionsfeld
menschlicher Frustration und sind Ausdruck ansonsten verhinderter, menschlich
spontaner Handlung. Solche und ähnliche Veränderungen der tatsächlichen
Zeichenfläche verleihen dieser immer wieder neue Bedeutung und bieten
sich mir an. Mich interessiert nicht, etwas Vorgegebenes im Sinne eines
Fundstückes auszustellen. Es interessiert mich also nicht, etwa einen
Baumstamm wegen seiner schönen Rinde herzunehmen. Was mich interessiert,
ist seine aussagestarke Form, die für mich erst dann einen wirklichen
Sinn bekommt, wenn ich sie so bearbeitet habe, daß sie durch meine
künstlerische Setzung individuellen und unverwechselbaren Charakter
annimmt, zu einer Arbeit von mir wird. Das kann soweit gehen, daß
ich einen Birkenstamm hernehme, um dessen schwarzweiße Rinde entsprechend
der vorgegebenen Form- und Farbstrukturen in Öl nach - oder überzumalen.
Wichtig für meine Arbeit ist also, solange etwas zu gestalten oder
umzugestalten, daß es nur mit mir identifiziert werden kann".
Eine solche, künstlerische Aneignung von Welt vermag trotz aller
geistigen Setzungen den Widerspruch von Kunst und Leben, von Mensch und
Natur nicht zu beheben. Wo also liegt das Zentrum, aus dem Liese seine
Hoffnungen auf eine gebesserte, umfassend menschenwürdige Lebenshaltung
schöpft? Wo liegen die Möglichkeiten zur Entwicklung? "Mein
Weltverständnis ist aufklärerisch, und dies durchaus in historisch-philosophischem
Sinne. Wenn ich überhaupt an eine Fortentwicklung des Menschen glaube,
dann nicht durch Missionierung der Welt, sondern durch Klärung von
Welt. Nur wenn eine Sache klar erkennbar ist, kann man mit ihr umgehen.
Kunst heute ist die ganz kleine Möglichkeit, solche Klärungsprozesse
in Gang zu setzen. Bevor zum Beispiel alle Welt wußte, was ein Biotop
ist, bevor der Begriff "Umwelt" in den allgemeinen Sprachgebrauch
überging, waren es tatsächlich die Künstler, die als erste
dieses Thema ins Bild gesetzt haben.
Dies muß man sich vor Augen halten, wenn ich sage, daß ich
überhaupt nichts davon halte, bestehende Grenzen zu verwischen. Im
Gegenteil: Um aktiv werden zu können, muß man Grenzen betonen,
nicht zementieren, aber deutlich auf sie aufmerksam machen. Ich halte
überhaupt nichts davon, sich etwa ins "Grenzenlose" zu
verlieren, eine undifferenzierte Emotionalität zu provozieren. Es
geht mir vielmehr darum, Tatbestände zu verstehen und diese anderen
deutlich zu machen. Eine zentrale Rolle in meiner Malerei hat deshalb
immer die Zueinanderordnung von Gegensätzen gespielt. An erster Stelle
wäre hier die Gegenüberstellung von geometrischer Form = Zeichen
und naturhafter Erscheinung = Landschaft zu nennen. Die gestische Pinselschrift
erscheint als eine Sprache unter anderen in meinen Bildern.
Sie kontrastiert mit den glatten Flächen, mit Dreidimensionalitäten
und anderen formalen Gegesätzen. Im Idealfall ist alles so aufeinander
abgestimmt, daß jedes seinen Platz im Bildkontext findet. Ein wichtiges
Motiv in diesem Zusammenhang ist das des "Bildes im Bild". Es
geht hierbei um eine ganze Werkgruppe, in welcher Skizzenblätter,
die in das Bild integriert wurden, Erinnerungen oder zusätzliche
Vorstellungen zum bildnerischen Thema wachrufen. Für mich enthält
das Motiv des Bildes im Bild einen entscheidenden Hinweis auf meine künstlerische
wie geistige Grundhaltung: Es geht um die Relativierung von Absolutheitsansprüchen.
Ich glaube nicht an das von uns Erreichbare, Absolute. Ich glaube an den
einen Aspekt, an die eine Möglichkeit von mindestens zweien, meistens
von mehr Möglichkeiten.
Mich beschäftigt immer wieder die Vorstellung, was eigentlich am
Ende des Lebens da sein könnte. Für mich bedeutet dies, alle
Aspekte des Daseins in meine Malerei zu integrieren, so daß ich
schließlich sagen darf: Das ist ein Ganzes. Es enthält Kopf
und Bauch, Schmerz und Lust, alles, was zum Leben gehört, aber als
Ganzes gesehen."
Ludger Busch, im März 1988
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