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Der Maler Rolf Liese
nimmt innerhalb des Komplexes der "Neuen Landschaft" eine Sonderstellung
ein. Seine eigenen Absichten beschreibt er so präzise, daß
ich ihn zunächst selbst zu Wort kommen lassen möchte: "Ich
entdeckte für mich die Zeichen, Signale, Wegweiser, die Internationale
der Schilder. Ich entdeckte anderes durch sie, als einige meiner Altersgenossen,
deren Thema Straße und Signal wurden: nicht eine neue Landschaft,
sondern neue Elemente in der alten. Ich nahm sie als Kontrast, formal
und bildinhaltlich, als Möglichkeit zur Aussage und zur gesteigerten
Farbigkeit. Ich bemerkte ihre Allgegenwart und sie beunruhigte mich. In
meinen Bildern wird nun die Landschaft zum Hintergrund für die Zeichen
des Menschen. Ich male Meßlatten, Grenzpfähle, Schilder mit
Symbolen. Ich ersetze die Wegkreuze einer anderen Zeit. Es entsteht ein
Bildraum, der Gegensätze in Form, Farbe und Struktur vereint, und
der offen ist für die Beobachtungen und Assoziationen des Betrachters".
Lieses lapidare Gestaltungen einer durch den Menschen gestörten Natur
leuchten unmittelbar ein. Sie bedürfen eigentlich keines sprachliehen
Kommentars, weil sie selber ihr Thema kommentieren. Lieses Bilder verrätseln
und verschlüsseln nicht, sie machen vielmehr den Tatbestand einer
durch die Technik attackierten Natur auf eindringliche Weise offenbar.
Das geschieht um den Preis stilistischer Einheit und einer persönlichen
Ausdrucksschrift, wie wir dies von der klassischen Moderne her gewöhnt
sind. Liese setzt die Stilmittel einer unterkühlten neuen Sachlichkeit,
eines abstrakten Geometrismus, aber auch der irregulären Pinselbewegung
des Tachismus in einunddemselben Bilde ein.
Er tut dies nicht, um der Beliebigkeit der Mittel das Wort zu reden, sondern
ordnet die Pluralität seiner Stilmittel ganz bewußt ihrem ideellen
Hinweischarakter unter:
Die gigantischen Meßstäbe stehen als Zeichen der Eroberung,
die verwaisten Schilder, die gebrochenen Röhrenmonumente als Menetekel,
als Hinterlassenschaft menschlichen Scheiterns vor einer vom Menschen
aufgegebenen Natur. Diese Natur kehrt zu sich selbst zurück. Ausgebeutet,
abgeweidet, kahl gebrannt überdauert die Wüste mit unverändert
herrlichen Felsformationen.
Wo die Schilder und Meßgeräte in die noch intakten Gebiete
unserer grünen, nördlichen Heimat vorstoßen, wird Bedrohung
durch zukünftiges signalisiert. Ein Einschnitt in den Dünen
gibt den Blick frei auf einen einsamen Küstenstrich mit Strandhafer
und eine Versammlung unübersehbarer Raffinerietanks. Das Ästhetische
solcher Kontraste besticht, die starken Lokalfarben der Geräte setzen
erregende Akzente in die Valeurfarbigkeit der Natur.
In den neuesten Bildern wird ein drittes Stadium der Konfrontation erreicht:
Auch die Meßgeräte, die den Angriff auf die Natur vorbereiteten,
sind sterblich. Signalstäbe rosten vor sich hin, sie altern im Gegensatz
zum Gebauten häßlich und würdelos. Moos und Tang ergreifen
Besitz von den Resten ehemaliger Schilder.
So wie Lieses Landschaftsbilder inszeniert sind, könnten sie uns
auch realiter begegnen. Sie stellen eine Konstellation dar, welche einen
Idealfall im negativen Sinne verdeutlicht. Insofern sind Lieses Bilder
die Nachfahren der "idealen Landschaft", welche einst antike
Phantasie-Architektur und gebaute Natur im Vorgestellten vereinte. Die
Kulissen haben gewechselt, die Tendenz zur dialektischen Inszenierung
aber ist zurückgekehrt. In beiden Fällen wird Natur zum Schauplatz
stilisiert: der Mensch greift gestaltend und verändernd in sie ein.
Nur mit einer so anderen Zielsetzung, daß der Vergleich uns schaudern
machen kann. Wo eine gebaute Natur einer Idealarchitektur entsprechen
und die Waage halten soll, liegt ein Streben zugrunde, Natur durch den
menschlichen Eingriff zu überhöhen, zu vollenden. In Lieses
Bildern empfindet dagegen wohl kaum einer die menschlichen Eingriffe als
harmonische Ergänzung des von Natur aus Gewachsenen.
Die Maler der "Neuen Landschaft" sehen nur noch Straßen
und Signale im Verhältnis zu Distanzen und Geschwindigkeiten. Sie
gehen davon aus, daß Natur vom vorbeirasenden Autofahrer nicht mehr
als solche wahrgenommen wird. Liese bleibt dagegen meditierend vor der
Tragödie dieser Konfrontation stehen.
Viele seiner Bilder haben etwas Endzeitliches, das Pathos eines ökologischen
memento mori. Sie sind auf ihre Art schön. Die menschenverlassene
Ödnis atmet eine geisterhafte Stille. Es könnte hier eines Tages
aussehen wie auf dem Mond. Der hängt tatsächlich groß
und bedrohlich in einigen Lieselandschaften, sozusagen als nahe Gewissheit.
Noch ist diese lapidare Mondsituation nicht erreicht: das absurde Beieinander
der erstarrten Natur, der Supertechnik in Gestalt der Mondfähre und
der Blechfahne als Zeichen menschlicher Herrschaft. Noch ragen in Lieses
Bildern die Zeugnisse menschlicher Herrschaft und menschlichen Versagens
nur wie riesige Repoussoirs in die Landschaft hinein, ohne sichtbare Verbindung
mit dem Boden, charakterisiert als das von Außen kommende, nicht
mit der Natur verwachsene. Der Hinweischarakter von Lieses Bildern ist
nicht zu leugnen. Sie nehmen ausdrücklich Bezug auf die Außenwelt
und unsere Probleme mit ihr. Damit hat Liese Stellung bezogen er wendet
sich an unsere Empfänglichkeit für optische Eindrücke.
Diese haben Emotionen in Bewegung zu setzen, unser Lebensgefühl zu
artikulieren, unsere Wertvorstellungen in eine bestimmte Richtung zu lenken,
und zwar via Gestaltung, nicht via Argumentation. Nur so erfüllt
Kunst noch immer eine bescheidene Aufgabe in einer von Technokraten okkupierten
Welt.
Juliane Roh, 1977
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