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Inszenierte Landschaften
(Juliane Roh, 1977)

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Der Maler Rolf Liese nimmt innerhalb des Komplexes der "Neuen Landschaft" eine Sonderstellung ein. Seine eigenen Absichten beschreibt er so präzise, daß ich ihn zunächst selbst zu Wort kommen lassen möchte: "Ich entdeckte für mich die Zeichen, Signale, Wegweiser, die Internationale der Schilder. Ich entdeckte anderes durch sie, als einige meiner Altersgenossen, deren Thema Straße und Signal wurden: nicht eine neue Landschaft, sondern neue Elemente in der alten. Ich nahm sie als Kontrast, formal und bildinhaltlich, als Möglichkeit zur Aussage und zur gesteigerten Farbigkeit. Ich bemerkte ihre Allgegenwart und sie beunruhigte mich. In meinen Bildern wird nun die Landschaft zum Hintergrund für die Zeichen des Menschen. Ich male Meßlatten, Grenzpfähle, Schilder mit Symbolen. Ich ersetze die Wegkreuze einer anderen Zeit. Es entsteht ein Bildraum, der Gegensätze in Form, Farbe und Struktur vereint, und der offen ist für die Beobachtungen und Assoziationen des Betrachters".

Lieses lapidare Gestaltungen einer durch den Menschen gestörten Natur leuchten unmittelbar ein. Sie bedürfen eigentlich keines sprachliehen Kommentars, weil sie selber ihr Thema kommentieren. Lieses Bilder verrätseln und verschlüsseln nicht, sie machen vielmehr den Tatbestand einer durch die Technik attackierten Natur auf eindringliche Weise offenbar. Das geschieht um den Preis stilistischer Einheit und einer persönlichen Ausdrucksschrift, wie wir dies von der klassischen Moderne her gewöhnt sind. Liese setzt die Stilmittel einer unterkühlten neuen Sachlichkeit, eines abstrakten Geometrismus, aber auch der irregulären Pinselbewegung des Tachismus in einunddemselben Bilde ein.
Er tut dies nicht, um der Beliebigkeit der Mittel das Wort zu reden, sondern ordnet die Pluralität seiner Stilmittel ganz bewußt ihrem ideellen Hinweischarakter unter:
Die gigantischen Meßstäbe stehen als Zeichen der Eroberung, die verwaisten Schilder, die gebrochenen Röhrenmonumente als Menetekel, als Hinterlassenschaft menschlichen Scheiterns vor einer vom Menschen aufgegebenen Natur. Diese Natur kehrt zu sich selbst zurück. Ausgebeutet, abgeweidet, kahl gebrannt überdauert die Wüste mit unverändert herrlichen Felsformationen.

Wo die Schilder und Meßgeräte in die noch intakten Gebiete unserer grünen, nördlichen Heimat vorstoßen, wird Bedrohung durch zukünftiges signalisiert. Ein Einschnitt in den Dünen gibt den Blick frei auf einen einsamen Küstenstrich mit Strandhafer und eine Versammlung unübersehbarer Raffinerietanks. Das Ästhetische solcher Kontraste besticht, die starken Lokalfarben der Geräte setzen erregende Akzente in die Valeurfarbigkeit der Natur.
In den neuesten Bildern wird ein drittes Stadium der Konfrontation erreicht: Auch die Meßgeräte, die den Angriff auf die Natur vorbereiteten, sind sterblich. Signalstäbe rosten vor sich hin, sie altern im Gegensatz zum Gebauten häßlich und würdelos. Moos und Tang ergreifen Besitz von den Resten ehemaliger Schilder.
So wie Lieses Landschaftsbilder inszeniert sind, könnten sie uns auch realiter begegnen. Sie stellen eine Konstellation dar, welche einen Idealfall im negativen Sinne verdeutlicht. Insofern sind Lieses Bilder die Nachfahren der "idealen Landschaft", welche einst antike Phantasie-Architektur und gebaute Natur im Vorgestellten vereinte. Die Kulissen haben gewechselt, die Tendenz zur dialektischen Inszenierung aber ist zurückgekehrt. In beiden Fällen wird Natur zum Schauplatz stilisiert: der Mensch greift gestaltend und verändernd in sie ein. Nur mit einer so anderen Zielsetzung, daß der Vergleich uns schaudern machen kann. Wo eine gebaute Natur einer Idealarchitektur entsprechen und die Waage halten soll, liegt ein Streben zugrunde, Natur durch den menschlichen Eingriff zu überhöhen, zu vollenden. In Lieses Bildern empfindet dagegen wohl kaum einer die menschlichen Eingriffe als harmonische Ergänzung des von Natur aus Gewachsenen.
Die Maler der "Neuen Landschaft" sehen nur noch Straßen und Signale im Verhältnis zu Distanzen und Geschwindigkeiten. Sie gehen davon aus, daß Natur vom vorbeirasenden Autofahrer nicht mehr als solche wahrgenommen wird. Liese bleibt dagegen meditierend vor der Tragödie dieser Konfrontation stehen.

Viele seiner Bilder haben etwas Endzeitliches, das Pathos eines ökologischen memento mori. Sie sind auf ihre Art schön. Die menschenverlassene Ödnis atmet eine geisterhafte Stille. Es könnte hier eines Tages aussehen wie auf dem Mond. Der hängt tatsächlich groß und bedrohlich in einigen Lieselandschaften, sozusagen als nahe Gewissheit.

Noch ist diese lapidare Mondsituation nicht erreicht: das absurde Beieinander der erstarrten Natur, der Supertechnik in Gestalt der Mondfähre und der Blechfahne als Zeichen menschlicher Herrschaft. Noch ragen in Lieses Bildern die Zeugnisse menschlicher Herrschaft und menschlichen Versagens nur wie riesige Repoussoirs in die Landschaft hinein, ohne sichtbare Verbindung mit dem Boden, charakterisiert als das von Außen kommende, nicht mit der Natur verwachsene. Der Hinweischarakter von Lieses Bildern ist nicht zu leugnen. Sie nehmen ausdrücklich Bezug auf die Außenwelt und unsere Probleme mit ihr. Damit hat Liese Stellung bezogen er wendet sich an unsere Empfänglichkeit für optische Eindrücke. Diese haben Emotionen in Bewegung zu setzen, unser Lebensgefühl zu artikulieren, unsere Wertvorstellungen in eine bestimmte Richtung zu lenken, und zwar via Gestaltung, nicht via Argumentation. Nur so erfüllt Kunst noch immer eine bescheidene Aufgabe in einer von Technokraten okkupierten Welt.

Juliane Roh, 1977


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