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In München-Haidhausen
wurden Häuser renoviert, die alten Sprossenfenster wanderten in die
Schuttcontainer auf der Straße. Das war, als das Kulturzentrum am
Gasteig noch eine Baustelle war und ich in der Balanstraße 11 im
Rückgebäude ein Atelier hatte. Die Fenster hatten es mir angetan,
obwohl ich nicht so genau wußte, was ich mit ihnen anfangen wollte.
Ich transportierte sie in großer Zahl nach Kolbing auf den eben
erworbenen Pflugmacherhof.
Im Herbst 1989 zog eine Kollegin meiner Frau um, die ein sechsteiliges
Bild von mir besaß und bat mich, ihr beim Aufhängen in der
neuen Wohnung zu helfen. Die großen Wellpappe-Elemente, die zur
Verpackung dienten, nahm ich mit, vielleicht konnte ich sie noch irgendwie
verwenden. Ausgehend von diesem zufällig ins Haus gekommenen Material
habe ich die nächsten zwei Jahre Bildelemente aus Wellpappe geschnitten,
auf Leinwand geklebt, mit Ölfarbe bemalt. Eine ganze Werkgruppe ist
so entstanden.
Im Juli 1989 kaufte Christian Döring seinen ersten Farb-Laser-Kopierer.
Wir spielten mit den Möglichkeiten dieser neuen Maschine auf ganz
naive Weise. Einmal brachte ich alte Paßbilder aus meiner Kindheit
und Jugend mit und wir vergrößerten sie, soweit das in einem
Arbeitsgang möglich war und gaben den Schwarz-Weiß-Fotografien
durch leichtes Verschieben während der vier Kopiervorgänge etwas
Farbe. Acht dieser Kopien schnitt ich aus und klebte sie direkt hinter
das Glas von zwei viergeteilten Oberlichtfenstern aus Haidhausen. Es blieb
ein Rand und so malte ich mit Acrylfarbe ein Passepartout um jedes kopierte
Foto, auch direkt auf die Glasscheibe, ein wenig die Farbe und den Pinselduktus
variierend.
Etwa 18 Jahre lang hatte ich ein zentrales Thema: die Landschaft als Bühne
für die Begegnung zwischen Baum und Signal, Berg und Maßstab,
Stein und Himmel, Felsen und Signal, Straße und Baum, Grenzschranke
und Mond, Schneezeichen und Winternebel, Signal und rückeroberndes
Moos. Die Ergebnisse waren vom Menschen geprägte menschenleere Landschaften.
Es gab Ausflüge in andere malerische Haltungen und Techniken, Bilder
wurden erweitert zu Reliefs oder zu dreidimensionalen Objekten. Die Landschaft
mit dem Signal blieb die Konstante von 1970 bis 1988. Dann war es vorbei,
obwohl mich alle Einzelelemente weiter faszinierten, obwohl ich diese
Bilder weiterhin liebte. Ein Kapitel war zu Ende.
Ich nahm ein Blatt Papier und schrieb auf, was mich interessierte, was
ich las, welche Großen der Kunstgeschichte ich anregend fand und
warum. Ich zog die Quersumme aus meiner Lust an Comics und van Gogh, an
Stories und Konstruktionen, und malte mit neugewonnener Freiheit Sprechblasenbilder,
klebte Treibholz und Pappelemente, Leisten und Sperrholzteile auf die
Leinwände und übermalte sie, erzählte so auf für mich
neue Weise Geschichten.
In Kolbing hatten wir zusätzlich zur zentralen Fußbodenheizung
einen Kachelofen einbauen lassen, um das Haus nach längerer Abwesenheit
schnell warm zu bekommen. Von einem holzverarbeitenden Betrieb in der
Nähe bekamen wir Abfallholz, Hartholz, das viel Wärme abgibt
und zu fast weißer Asche verbrennt. Ein Nachbar gab mir den Rat,
diese Asche als Dünger zwischen die Rosenbüsche und unter die
Obstbäume zu verteilen.
Im Herbst 1984 war ich als Vertreter des Bundesverbandes Bildender Künstler
mit zwei anderen deutschen Künstlern in Moskau Gast des sowjetischen
Künstlerverbandes, eine Reise verbunden mit Ausflügen nach Wladimir
und Leningrad und mit einigen wenigen Künstlerbegegnungen. Im Haus
des Künstlerverbandes am Gogol-Boulevard lernte ich einen jungen
DDR-Künstler kennen, Jürgen Schön aus Dresden, der auf
die Weiterreise zu einem Symposion in Finnland wartete. Wir unternahmen
einige Ausflüge zusammen, tauschten Adressen, hielten Kontakt; er
besuchte mich, schon vor der Wende. Er registrierte die Veränderungen
in meiner Malerei, die veränderte Gegenständlichkeit und bei
einem Besuch im Herbst 1991 sagte er: Versuch doch mal was mit Asche,
Asche ist so ein tolles Material. Er war immer sehr freigiebig mit Anregungen.
Die "Inseln" und "Oasen" waren die unmittelbare Folge
dieses Satzes.
Die Malerei hinter Glas machte Probleme. Ich probierte alles aus, was
an Farbe auf dem Markt war und erlebte so einige Überraschungen.
Werkstattgeheimnisse sind das Ergebnis von Erfahrungen und also gar keine
Geheimnisse, sondern nicht weitergegebene Erfahrungen. Inzwischen gibt
es wohl niemanden unter den Zeitgenossen, der sich so konsequent mit dieser
Materialkombination auseinandergesetzt hat wie ich, jedenfalls kenne ich
keinen.
Es gab zahlreiche Wechselwirkungen zwischen materieller Möglichkeit
und künstlerischer Absicht, ein bis heute nicht abgeschlossener Vorgang.
Die Lust an der Wirkung des Materials und die Absicht künstlerischer
Gestaltung in Einklang zu bringen, ist eine ständige Gratwanderung.
Wenn sie gelungen erscheint, dann ist da immer wieder das Gefühl,
endlich die einzig richtige Lösung gefunden zu haben, das Eindeutige,
das Klare, überwältigende, DAS Bild, seine Form, sein Material,
etwas das einmalig, erstmalig ist, und das seine Botschaft überzeugend
vermittelt und sein Publikum findet.
Seit 1990 habe ich meine Ideen für Bilder und Objekte in sieben Notizbüchern
gesammelt. Jedes Buch hat 200 Blatt, die teils beidseitig bezeichnet und
beschriftet sind mit Angaben für ein auszuführendes Werk oder
eine Werk-Reihe. Das ergibt mehr als zweitausend Ausgangs-Situationen.
In dieser Zeit sind nach dort notierten, aber auch nach nicht notierten
Vorstellungen etwa 320 Arbeiten entstanden.
Die 51 Abbildungen dieses Katalogs zeigen die Entwicklung der vergangenen
sechs Jahre.
Rolf Liese
Bodenkirchen, im August 1996
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